metallzeitung im Gespräch mit Ralf Claessen, Geschäftsführer der IG Metall Krefeld
mz: Wie geht es der IG Metall Krefeld?
RC: Gesundheit, Finanzen, Mitglieder, Politik, Personal,…worauf zielt Ihre Frage?
mz: Wie die Lage in den Betrieben und Branchen ist? Wie die Beschäftigten mit der Monster-Inflation umgehen und wie deren Erwartung an die IGM ist?
RC: Ok, die Lage gibt es in einer Multi-Branchen-Gewerkschaft natürlich nicht. Zwei Rückmeldungen die ich und meine Kollegen bei betrieblichen Terminen fast immer bekommen geben einen kleinen Eindruck. Die Anstrengungen rund um die Coronona-Pandemie haben Spuren hinterlassen und die Herausforderungen die sich aus der Kriegssituation seit Februar ergeben werden nicht kleiner. Energie- und Gaspreise sind nicht die einzigen die für die Betriebe durch die Decke gehen. Rohstoffe, Betriebsmittel, Vorprodukte, Dienstleistungen,…da fällt ein ordentliches kalkulieren zunehmend schwer. Neben der Kostenentwicklung hat sich das Verfügbarkeitsproblem nicht verbessert sondern verschärft. Die Sehnsucht nach Ruhe und Sicherheit steht bei vielen Gesprächen greifbar im Raum.
mz: Sagen Sie auch was zur Erwartung an die IGM?
RC: Bezogen auf die Inflation ist die Erwartung das wir tarifpolitisch aufholen, bei der Metall-Elektroindustrie laufen gerade die Verhandlungen. Unsere Forderung von 8% ist aus unserer Sicht alles andere als überzogen. das wir eine spannende Runde. Zweite Erwartung ist, dass wir auf Politik Einfluss nehmen und mit für Entlastung sorgen. Für Beschäftigte und Unternehmen. An der Stelle klappt dann die Sozialpartnerschaft.
mz: Geht´s also nur um Geld bei Euch?
RC: Nein, in den Betrieben gibt es total viele Themen die durch die Betriebsräte zu regeln sind: Arbeits- und Gesundheitsschutz, JAV-Wahl, Integration schwerbehinderter Menschen, Vereinbarkeit, mobiles Arbeiten, demographischer Wandel, …
mz: Haben Sie Sorge das die digitale Transformation weitere Betriebe und Arbeitsplätze vernichten wird?
RC: Nein. Wir sind Veränderungsexperten. Die großen Strukturbrüche haben wir hinter uns. Textil, Stahl, Maschinenbau. Leider wurden diese nicht politisch flankiert und die Negativeffekte spiegeln sich auch in der Krefelder Arbeitslosenlage. Gute Betriebsräte haben feine Antennen für Veränderung. Sie nehmen Einfluss auf Personalplanung und Qualifizierung. Sie bauen Brücken in neue Beschäftigung.
mz: Dann ist ja alles in Butter bei der IGM.
RC: Wieder nein. Personalabbau findet nur selten im Licht der Öffentlichkeit statt. Wir haben in 202021 über 1000 industrielle Arbeitsplätze verloren. Rheinmetall hat den Krefelder Standort geschlossen, die TAG hat den Betrieb ganz eingestellt. Das bleibt auch bei uns hängen. Der Frust über den Verlust des Arbeitsplatzes wird leider bei uns abgeladen. Die Freundschaft (Mitgliedschaft) wird gekündigt.
mz: Was bedeutet das für die IGM Krefeld?
RC: Eine Mitgliederorganisation ohne Mitglieder ist tot. Wir sind noch ganz vital. Und das soll auch so bleiben. Wir haben noch etwas über 11.000 Mitglieder und werden unsere Arbeit stärker auf Bindung und Ausbau fokussieren.
mz: Hört sich unternehmerisch an, auf zu neuen Märkten?
RC: Wir waren, sind und bleiben eine Arbeitnehmerselbsthilfeorganisation. Wenn wir wirkungsmächtig sein wollen brauchen wir Mitgliederrückenwind. Beschäftigte entscheiden ob Sie mit uns etwas in Betrieb, Tarif und Gesellschaft bewegen möchten – oder nicht.
mz: Klingt ein bisschen wie Pfeiffen im Walde.
RC: Quatsch. Tarifverträge sind keine Selbstverständlichkeit und auch kein „freies“ Gut. Tarifbindung ist kein Standard. Wer nicht „betteln“ will sondern auf Augenhöhe verhandeln ist bei uns richtig. Ich sag manchmal flappsig das mit 1% Beitrag – 100% Leistung „eingekauft“ werden.
Und das coole bei uns ist, das passiert nicht im Verborgenen. Wir sind MitMach(t)Gewerkschaft. Aktiv werden, Gesicht zeigen, Ideen einbringen.
Meckern dürfen bei uns nur diejenigen die auch mitmachen, und dann wird aus meckern ganz schnell besser machen.
mz: Also doch alles in Butter.
RC: Vieles, nicht alles. Wir haben tolle Akteure in vielen Betrieben. Wir haben tolle Ehrenamtler die auf vielen Ebenen und in vielen Gremien Gesicht und Stimme der IGM sind – das ist super!
mz: Und was ist nicht super?
RC: Wir diskutieren im Ortsvorstand und der Delegiertenversammlung wie unsere Haupt- und Ehrenamtliche Arbeit wirkungsvoller gestaltet werden kann. Wenn etwas nicht gut funktioniert macht es Sinn es zu überprüfen. Das Team der IG Metall Krefeld macht einen engagierten job, aber mit Blick auf die Mitgliederentwicklung ist es Zeit Dinge anders anzugehen
mz: Was zum Beispiel?
RC: Seit 01.07. verstärkt Tobias Schwarzmayr als Jurist unser Team. Gute Gelegenheit auf unsere bisherige Arbeit zu schauen. Aufgaben und Themen neu zu verteilen und anders anzugehen.
mz: Wo bleibt das Beispiel?
RC: Hier. Es gibt keine „klassische“ Betriebszuordnung mehr. Stattdessen wird unsere Arbeit Projekt-, Kampagne- und Bedingungsgebunden sein. Wir wollen weniger Reaktion und mehr Aktion. Und da wo wir ragieren müssen- Personalabbau, Tarifflucht, Standortschließung – werden wir mit mehr Wumms antreten.
MZ: Also alle machen alles und keiner etwas richtig?
RC: Es gibt regionale Ansprechpersonen: Krefeld – Bernd Börgers, Viersen – Tobias Schwarzmayr, Kleve – Ralf Claessen. Das bedeutet aber nicht das alle Betriebe mit allen Themen bespielt werden.
mz: sondern…
RC: Wir hatten und haben Tarif- und Themenzuordnung. Wir hatten und haben eine Zusammenarbeitsstruktur. Dabei geht es um klare Verabredungen. Zum Beispiel zur Azubi-Begrüßung, Organisation der Tarifrunde, zu betrieblichen Wahlen wie JAV- und SBV-Wahl. Unsere erprobten Werkzeuge BetriebsBetreuungsKonzept mit 3B-Verabredungen sollen weiterentwickelt werden.
mz: Entschuldigung ich sehe immer noch kein neues Bild.
RC: OK, unsere Neu-Aufstellung sieht vor, dass jeder ArbeitsWeltGestalter immer 3-5 Projekte am Start hat. Eine Betriebsratsgründung, ein Schwerpunktbetrieb für die aktuelle Tarifrunde ME, einen Betrieb ohne Tarifbindung zur Tarifbindung begleiten, …
So wie Luft & Lust besteht können dann gerne noch 2… weitere Schwerpunktbetriebe begleitet werden. Und dann von Projekt zu Projekt, von Runde zu Runde.
mz: Das hört sich ja fast agil an.
RC: Besser als debil. Wir wollen keine „feste“ Zuordnung sondern eine bewegliche – die nach Thema, Zeitaufwand, Potenzial und Verabredung entscheiden wird. Und da, wo Betriebsräte keinen Bock auf IGM haben, teilen wir es den Mitgliedern mit und stellen ggf. auf Individualbetreuung um…
mz: Ihr geht in den clinch?
RC: Wir sorgen für Transparenz. Und wir stellen weiter das Mitglied in den Mittelpunkt unseres Handelns.
mz: Wie messen Sie Erfolg oder Misserfolg?
RC: Zum einen an der Mitgliederentwicklung, zum anderen durch eine Zufriedenheitsbefragung der Aktiven. Das stellen wir dann im Sommer 2023 in unserer Parlamentssitzung vor und zur Diskussion.
mz: Viel Erfolg!
RC: Danke!