metallmagazin im Interview mit Hasim Cantürk: 60 Jahre Anwerbeabkommen Deutschland – Türkei

Redaktion 1. Dezember 2021 0

„60 yıl – bizimle birlikte olmanız güzel“

Am 30. Oktober 1961 schlossen Deutschland und die Türkei ein bilaterales Anwerbeabkommen. Bis heute prägt es die Gesellschaften in beiden Ländern. Ist das 60-jährige Jubiläum ein Anlass zu feiern? Wird die Lebensleistung der „Gastarbeiter*innen“ und der Folgegenerationen in Deutschland richtig gewürdigt? Es ist eine Gelegenheit, sich mit den Fehlern und Herausforderungen der Vergangenheit und Gegenwart auseinanderzusetzen…darum hat das metallmagazin ein Gespräch mit Hasim Cantürk, Betriebsratsvorsitzender OTK-Nirosta geführt, der auch noch zwei Fotos spendiert hat.

Hasim Cantürk 1976 und heute. (Foto: privat)

Hasim ist der 60 Geburtstag des Anwerbeabkommens ein Grund zu feiern?

Dass es ein Grund zum Feiern ist, würde ich nicht behaupten. Ein Grund zum Erinnern, schon. Es wurden „Gastarbeiter“ gerufen und es kamen Menschen. Es kamen Partner und Kinder, es bildeten sich Gemeinschaften und die jeweilige Kultur fand Einzug in die Kultur der „Gastgeber“. Für mich eine wechselseitige Bereicherung. 60 Jahre, eine längere Zeit als ein Arbeitsleben, eine Zeit in der drei Generationen Ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Gelingen leisten.

Was waren positive und was waren negative Erfahrungen die Ihr als „Gäste“ machen musstet?

Erst einmal habe mich hier nie als ein Gast gefühlt, da ich hier geboren bin. Ich habe es genossen in einem Stadtteil aufwachsen zu dürfen mit verschiedenen Nationalitäten. Was mich bis heute geprägt und weitergebracht hat. Es war ein harmonisches Miteinander, was leider in den letzten Jahren in unserer Gesellschaft verloren gegangen ist.

Natürlich habe ich auch nicht so schöne Momente im Kopf, die mir wiederfahren sind. Besonders hat mich gestört und ärgert mich immer noch, dass Menschen wegen Herkunft, Religion oder Aussehen mit Spott, Hohn, Beleidigungen und Vorurteilen zu kämpfen haben. Diese Äußerungen treffen und verletzen Kollegen, Freunde, Nachbarn, mich und auch meine Familie.

Was ist die Türkei für dich Heimat-Familien- oder Urlaubsland?

Für mich ist die Türkei ist ein wunderschönes Land. Ich reise sehr gerne dorthin. Natürlich in erster Linie um meine Familie zu besuchen. Es ist das Land, aus dem meine Eltern und somit meine Wurzeln stammen – da geht es mir so wie fast Millionen anderer „Deutschländer“. 

Wie ist dein Blick auf die Türkei?

Da gibt es nicht den einen Blick. Es gibt tolle Entwicklungen und welche die mich nachdenklich stimmen – das ist beim Blick auf Deutschland genauso. Die Entwicklung des Lira-Wechselkurses besorgt mich, denn dies kann zu starken sozialen Verwerfungen führen. Ich fiebere mit meinem Fußballklub Fenerbahce. Ich bin beeindruckt vom türkischen Unternehmertum und den starken Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Ich sehe die geopolitische Bedeutung der Türkei und wünsch mir mehr Kooperation und Gelassenheit, wenn es um die EU oder die NATO geht.

Was hat sich verändert bei deinen Eltern, dir, deinen Kindern?

Über die Jahrzehnte hat sich vor allem der Wunsch zurückkehren zu wollen geändert. Auch meine Eltern wollten nur ein paar Jahre hier bleiben um sich etwas in der Türkei aufzubauen. Fakt ist, dass Sie mit über 80  – nach knapp 50 Jahren  – jetzt erst ihre Zeit in der Heimat verbringen.

Religion, Feste, Traditionen, Sprache wie gelingt der „Spagat“?

Das Schöne ist, dass wir hier mittlerweile viele Möglichkeiten haben, um diesen Spagat zu schaffen. Ob es nun die Ausübung unserer Religion ist, z. B. in den Moscheen in Krefeld oder aber auch verschiedene Aktivitäten über türkische Kultur- und Sportvereine. Man muss aber auch erwähnen, dass Vieles von dem was heute für uns selbstverständlich ist, von unseren Eltern erreicht worden ist. Einfach war es nicht. Es gab immer wieder Hürden, die man aus dem Weg räumen musste.

Was muss Politik und Gesellschaft leisten damit ein noch besseres Miteinander gelingt?

Der Dialog / Austausch ist enorm wichtig. Zuhören, verstehen wollen und konsequentes Handeln würde ich mir wünschen von allen Beteiligten. Die Spaltung in unserer Gesellschaft ist ja überall zu erkennen und nicht nur auf das Miteinander zwischen Migranten und Deutschen zurückzuführen.

Du hast das Vertrauen der Belegschaft erhalten und trägst Verantwortung als Vorsitzender des Betriebsrates und Mitglied im Aufsichtsrat– was bedeutet das für dich?

Für mich ist es eine Ehre, seit knapp 30 Jahren – in verschiedenen Funktionen – die Interessen der Kolleginnen und Kollegen vertreten zu dürfen. Den Vorsitz des Betriebsrats zu übernehmen in einer Zeit des Umbruchs – von einem montanmitbestimmten deutschen Traditionsunternehmen, zu einem finnischen Konzern ohne Mitbestimmungskultur – war natürlich nicht einfach. Dem habe ich mich gestellt, da ich dieser Belegschaft auch viel zu verdanken habe und etwas zurückgeben möchte.

Was möchtest Du deiner IG Metall mit auf den Weg geben?

Was ich von und für die IGM möchte kann ich in der Delegiertenversammlung und in der Tarifkommission zum Ausdruck bringen. Das Sie Ihren Mitgliedern Räume und Möglichkeiten bietet über gute Arbeit und gutes Leben zu diskutieren ist wichtig. Die IG Metall soll weiter für die Einheit in Vielfalt stehen. Ich finde es wichtig, dass klare Kante gegen Rassismus gezeigt wird – wir müssen uns für Zusammenhalt und Solidarität jeden Tag auf´s neue stark machen.

Danke Hasim!

 

 

 

Kommentar hinterlassen »