Die Angst um ihren Arbeitsplatz trieb die Beschäftigten von Siemens auf die Straße. 2000 aus allen 16 Standorten in Nordrhein-Westfalen folgten dem Aufruf der IG Metall zur Protestkundgebung in Krefeld. Sie wehren sich gegen mögliche Abspaltungen von Geschäftsfeldern. Ihr Motto: „One Siemens. Aber mit allen.“
Arbeiter und Angestellte, Männer und Frauen, junge und ältere Beschäftigte – über 2000 Menschen stehen um 11 Uhr vor dem Siemens-Werk an der Duisburger Straße in Krefeld. Heinz Spörk, der Betriebsratsvorsitzende, redet nicht lange drumherum: „Es geht ums Ganze“, ruft er auf der Rednertribüne in Mikrofon.
Es geht um zweierlei: Um den Konzernumbau, der den harmlos klingenden Titel „Siemens 2020“ trägt, aber Angst und Schrecken verbreitet, und um den sogenannten Alstom-Deal; dahinter verbirgt sich die Absicht von Siemens, die Energiesparte des französischen Industriekonzern zu übernehmen – womöglich im Tausch mit der eigenen Bahnsparte. Siemens Krefeld wäre davon am stärksten betroffen, dort werden ICE-Züge gefertigt.
Eher Siemens ohne Kaeser und Cromme als Siemens ohne Züge
Der Krefelder Betriebsratsvorsitzende kassiert viel Applaus, als er sagt: „Ich kann mir Siemens ohne Kaeser und Cromme besser vorstellen als Siemens ohne Züge.“ Joe Kaeser ist der neue Siemens-Chef, Gerhard Cromme der Aufsichtsratsvorsitzende.
Der Oberbürgermeister von Krefeld, Gregor Kathstede, versichert den Siemensianern die Solidarität der Stadt. Jetzt sei „Widerstand“ gefragt, sagt der CDU-Politiker. Und: „Wo wir helfen können, wollen wir helfen.“ Die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, Birgit Steinborn, sagt: „Noch ist nichts entschieden“, auch wenn das Sparziel von „Siemens 2020“ – eine Milliarde Euro – und der heiß diskutierte Teilerwerb von Alstom nichts Gutes ahnen lassen. Steinborn fordert den Erhalt aller Arbeitsplätze und Standorte. Sie warnt aber vor falschen Hoffnungen: „Unser Einfluss ist begrenzt – wir haben keine wirtschaftliche Mitbestimmung.“
Der Bocholter Siemens-Betriebsratsvorsitzende Andreas Wendland erinnert an „Monopoly“, einen Song von Klaus Lage. Eine Zeile des Liedes lautet: „Wir sind nur Randfigurn in einem miesen Spiel.“ Kämpferischer klingt’s, als Wendland den Deal mit Alstom kritisiert und ruft: „Wir sind keine Tauschware!“
Siemens-Manager spricht zu den Demonstranten – und wird nicht ausgebuht
Nach Wendland spricht Jürgen Wilder (Foto 6), der Chef der Bahnsparte von Siemens, der vor einem Jahr mitsamt Familie an den Niederrhein gezogen ist. Er könne gut verstehen, dass die Beschäftigten verunsichert sind, sagt Wilder – und es folgt keine „aber“. Sondern nur ein Zitat von Kaeser, wonach Siemens „langfristig im Bahngeschäft engagiert sein“ werde. Diese Aussage lässt zu viele Fragen offen, als dass sie die Beschäftigten beruhigen könnte.
Die Krefelder IG Metall-Vertrauensfrau Beate Graetz (Foto 1) fordert von der Konzernspitze „Dialoge statt Verkündigungen“ – und betont, dass von den Konzernplänen „alle betroffen“ sind: „Heute wir, morgen ihr – am Ende steht nur Margen-Gier.“ Pietro Bazzoli, der Betriebsratsvorsitzende von Siemens Mülheim, dem größten Siemens-Standort in NRW, fordert die Vorstandsmitglieder auf, in die Betriebe zu kommen „und Rede und Antwort zu stehen“.
Eine für alle, alle für einen
Konrad Jablonski vom Siemens-Team der IG Metall stellt eine interessante Berechnung vor: „Vor mir stehen 40.000 Jahre Berufserfahrung.“ Die müsse man dem Konzernchef zugute kommen lassen: „Herr Kaeser braucht unsere Hilfe, damit er auf den rechten Weg zurückfindet.“ Für Jablonski bedeutet die Parole „One Siemens“: „Wer die Axt an einen Standort legt, bekommt es mit uns allen zu tun.“