Mensch vor Marge – das muss auch in Zukunft gelten
Das Unternehmensprogramm „Siemens 2014“ setzt auf einseitige Gewinnsteigerung zu Lasten der Belegschaft. Beschäftigte, Betriebsräte und IG Metall haben von Anbeginn an gegen diese Unternehmenspolitik ihren Widerstand formiert – und ein eigenes Alternativkonzept entwickelt. Heute ist klar: „Siemens 2014“ ist gescheitert. Herausforderungen aber gibt es nach wie vor.
Fast genau ein Jahr ist es her, dass die Siemens-Belegschaft gemeinsam mit der IG Metall zum Widerstand gegen das Unternehmensprogramm „Siemens 2014“ aufgerufen hat. Statt wie das Management eine einseitige margenorientierte Portfoliopolitik voranzutreiben, die darauf abzielt, kurzfristig die Marge zu erhöhen, wird eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmens gefordert. Hierfür steht das von der Arbeitnehmerseite bei Siemens entwickelte Alternativkonzept „Siemens 2020“, das sich mit dem Slogan „Mensch vor Marge“ auf den Punkt bringen lässt.
Arbeitsbedingungen attraktiver gestalten
Das Konzept fußt auf fünf Forderungen, es umfasst fünf Leitideen: So soll die Wertschöpfung des Unternehmens in Deutschland und Europa weiter gestärkt, die betrieblichen Aktivitäten sektorübergreifend integriert, dazu intensiver als bisher in Zukunftstechnologien investiert werden. Zusätzlich wird gefordert, dass die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten sowie das Arbeitsumfeld attraktiver gestaltet sowie eine Unternehmenskultur entwickelt werden muss, bei der eine Feedback- und Vertrauenskultur über alle Hierarchieebenen hinweg geschaffen wird.
Dass „Siemens 2020“ mehr ist als ein Slogan, mehr als bloß ein blutleeres Projekt, hat sich von Anfang an gezeigt, ganz besonders aber beim bundesweiten Aktionstag am 21. Februar 2013. Mit vielen kreativen Aktionen machten da Beschäftigte an Siemens-Standorten überall in der Republik auf ihre Lage aufmerksam – und lösten ein großes Echo, eine breite positive Resonanz bei der Belegschaft und in der Öffentlichkeit aus. Spätestens mit dem Abgang von Siemens-Chef Peter Löscher am 31. Juli 2013 wurde dann offenkundig, dass das Unternehmensprogramm „Siemens 2014“, zumindest fürs Erste, gescheitert ist.
Offiziell beendet ist es aber nicht. Zwar hat Joe Kaeser, der neue Vorstandsvorsitzende von Siemens, bei seinem Amtsantritt moderate Töne angestimmt und dazu auf der letzten Betriebsräteversammlung einen Dialog mit der Arbeitnehmerseite angeboten. Allerdings: eine weitergehende Mitbestimmung auch bei wirtschaftlichen Fragen ist damit ausdrücklich nicht gemeint. Die Interessensgegensätze im Unternehmen bleiben so weiter bestehen. Von Anfang März bis zum Mai stehen nun Betriebsratswahlen an – die Herausforderungen des Unternehmens aber bleiben das gesamte Jahr über groß: Das wirtschaftliche Umfeld des Unternehmens ist noch immer nicht stabil, gleichzeitig muss davon ausgegangen werden, dass der Druck der Analysten und Anteilseigner auf den Vorstand weiter zunehmen wird und höhere Margen gefordert werden. Noch ist nicht klar, wie der Vorstand darauf reagieren wird. Erst im Mai wird man das wissen, dann will Joe Kaeser seine Strategie bekannt geben.
Vertrauenskultur im Unternehmen einfordern
Ungeachtet dessen wird „Siemens 2020“ auch in den kommenden Monaten kontinuierlich weiter entwickelt. „Unsere Ziele sind klar: Beschäftigung bei Siemens in Deutschland halten und ausbauen, faire Arbeitsbedingungen sichern und im Unternehmen eine Vertrauenskultur auf allen Ebenen einfordern“, sagt Birgit Steinborn, stellvertretende Vorsitzende im Siemens-Gesamtbetriebsrat, „Mensch vor Marge, das ist und bleibt unser Grundsatz.“ Und Jürgen Kerner, Hauptkassierer der IG Metall und Siemens-Aufsichtsratsmitglied, betont: „Die IG Metall erwartet, dass sichere und faire Arbeit, Innovation und Vertrauen weiterhin Werte von Siemens bleiben. Sie haben das Unternehmen groß gemacht. Siemens 2020 zeigt den Korridor, in dem Unternehmen und Beschäftigte Perspektiven dazu gewinnen. Betriebsräte und IG Metall werden das Programm deshalb mit Hochdruck weiterentwickeln.“