Der deutsche Maschinenbau steht vor großen Herausforderungen. Die digitalisierte Fabrik der Zukunft ist nur mit hochqualifizierten Belegschaften möglich. Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, erklärt in einem Beitrag im „Handelsblatt“, welche Strategie notwendig ist, damit der Maschinenbau weiter an der Weltspitze bleibt.
Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau steht gut da. Eine Million Beschäftigte, ein Umsatz von mehr als 220 Milliarden Euro, Weltmarktführerschaft in 16 von 31 Teilbranchen sind eine imponierende Bilanz. Aber es gibt keine Garantie dafür, dass die Zukunft genauso vielversprechend aussieht. Werden die industriepolitischen Weichen in Deutschland nicht bald richtig gestellt, gerät die Spitzenposition im Maschinenbau in Gefahr.
Einen differenzierten Blick auf die Branche und ihre Zukunftsperspektiven hat die bundesweite Beschäftigtenbefragung der IG Metall eröffnet. Als Schwachstelle identifiziert sie den demografischen Status quo. Nur wenige Unternehmen haben Konzepte gegen die Überalterung ihrer Belegschaft. Auf die Frage „Wie gut ist Ihr Betrieb auf älter werdende Belegschaften vorbereitet?“ antworten 48 Prozent der Befragten mit „schlecht“ oder „gar nicht“. Die Frage „Können Sie Ihre Arbeit bis zum Rentenalter über 65 Jahre ausüben?“ verneinen 43 Prozent.
Diese Zahlen unterstreichen die Notwendigkeit, den Altersdurchschnitt durch eine langfristige Personal- und Nachwuchsplanung zu senken. Die Unternehmen sind gefordert, den Wissenstransfer von Alt zu Jung zu organisieren und Qualifizierungsbedarfsanalysen zu erstellen. Aktuell erwarten laut dem arbeitgeberseitigen IAB-Betriebspanel zwei Drittel der Maschinenbau-Unternehmen personelle Engpässe. Völlig unverständlich und kontraproduktiv ist es daher, dass die Ausbildungszahlen auf einem historischen Tiefstand sind.
Mehr Aus- und Weiterbildung ist angesichts der kommenden technischen Herausforderung essenziell. Die digitalisierte Fabrik der Zukunft ist nur mit einer hochqualifizierten Belegschaft möglich. Beunruhigend deshalb die weiteren Ergebnisse der IG-Metall-Beschäftigtenbefragung: Der Aussage „Bei dem Arbeitsdruck bleibt keine Zeit für Weiterbildung“ stimmen 45 Prozent der Teilnehmer zu. Und nur sieben Prozent sind der Meinung: „Der Betrieb bietet mir ausreichend Möglichkeiten zur Weiterbildung an.“
Eine weitere Schwachstelle des Maschinenbaus ist die tendenzielle Abkehr vom High-Tech-Segment. Bisher war es für die Champions der Branche eigentlich kein Gegensatz, das Massengeschäft des mittleren Preisniveaus und gleichzeitig das Segment Spitzentechnik zu bedienen, in dem Kunden maßgeschneiderte Maschinen erhalten. Inzwischen nehmen aber zahlreiche Betriebsräte des Maschinen- und Anlagenbaus wahr, dass die Geschäftsstrategien mehr und mehr auf das mittlere Marktsegment ausgerichtet werden und eine High-Tech-Strategie vernachlässigt wird.
Die Schwellenländer, allen voran China, machten einen solchen Strategiewechsel notwendig, weil in diesen wachstumsstarken Märkten besonders das preiswerte Mittelsegment gefragt sei, so die Begründung. Mit dem Argument, dieses Mittelsegment sei kostengetrieben, stellt darüber hinaus manches Management die heimischen Standorte infrage. Bei der IG Metall trifft ein solches Geschäftsmodell auf entschiedenen Widerstand.
Unsere „Besser-statt-billiger-Strategie“ gilt auch für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau. Es gibt keinen Grund, von der Exzellenzstrategie abzurücken: Was heute als Mittelsegment gilt, war gestern Spitzentechnik, die nach unten nivelliert wurde, und was heute mittleres Preis- und Technikniveau ist, wird bald am unteren Ende liegen. Wir brauchen das duale Geschäftsmodell: auf der Basis qualifizierter Facharbeit, hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwands sowie heimischer Wertschöpfungskette weiter Premium-Anlagen produzieren und diese Anlagen mit einer durchdachten modularen Bauweise für die Volumenmärkte vereinfachen. Auch mit Blick auf die Energiewende und die Elektromobilität ist nicht alles im grünen Bereich: Wo bleiben die weiteren Investitionen in die erneuerbaren Energien und die Konversionsprogramme für die weltweite Modernisierung des Kraftwerksparks? Wo bleiben die gemeinsam mit der Automobilindustrie getätigten Investitionen in die Antriebs- und Batterietechnik, Steuerungsanlagen und neuen Fertigungsstraßen?
Bei diesen Investitionen ist die Branche auch auf eine aktive Industriepolitik angewiesen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat dies erkannt und einen Branchendialog Maschinenbau gestartet. Die IG Metall und ihre Betriebsräte sind Teil dieses Dialogs. Wir wollen, dass in Deutschland mit Hilfe staatlicher Mittel nicht nur geforscht, sondern neue, innovative Produkte auch produziert werden. So kann der Maschinenbau in Deutschland weltweit an der Spitze bleiben.
Dieser Gastbeitrag erschien am 14. April 2015 im Handelsblatt.