Arbeitsmarkt: In Berlin wird hinter den Kulissen zwischen den Sozialpartnern und der Politik um die Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes gerungen. Tausende Ingenieure arbeiten als Leiharbeiter. Hinzu kommen Zehntausende freiberufliche Ingenieure, die sich von Personaldienstleistern in Projekte vermitteln lassen. Christiane Benner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, betont, dass in diesen gemischten Teams massiver Wettbewerbsdruck untereinander herrsche.
VDI nachrichten: Die IG Metall hat Leiharbeit früher verteufelt. Es ist stiller geworden. Was ist passiert?
Benner: Wie kommen sie darauf? Unsere Kampagne „Arbeit: sicher und fair!“ läuft doch weiter. Unser Ziel ist, dass Leiharbeiter vom Entleiher in ein sicheres Arbeitsverhältnis übernommen werden. Dafür setzen sich die bei uns organisierten Betriebsräte ein. Wir haben unsere Aktivitäten sogar ausgeweitet. Es geht dabei nicht mehr nur um den Missbrauch von Leiharbeit, sondern auch um den von Werkverträgen. Und um bessere Arbeitsbedingungen für Leiharbeitnehmer und Beschäftigte von industriellen Dienstleistern – in der Produktion genauso wie in der Entwicklung.
Mit welche Maßnahmen?
Vielfach haben wir Leiharbeit reguliert. Durch Tarifverträge mit Branchenzuschlägen, Entgeltzuschlägen und dadurch mittelfristig gleichen Gehältern wie bei der Stammbelegschaft. Es ist uns dadurch gelungen, die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitern zu verbessern. Unsere Betriebsräte sind für das Thema sensibilisiert. Durch all diese Maßnahmen hat sich die Lage vieler Leiharbeiter in unseren Branchen verändert, deshalb ist es um das Thema ruhiger geworden. 80 000 Leiharbeiter sind inzwischen Mitglied der IG Metall geworden. Allerdings sind viele Unternehmen auf Werkverträge ausgewichen, als die Hürden für den Einsatz von Leiharbeit höher wurden. Deshalb kümmern wir uns nun auch um dieses Thema.
In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Leiharbeiter verdoppelt. Tausende Leiharbeiter sind im Ingenieurbereich zu finden. Wie stehen Sie zur Leiharbeit bei dieser Berufsgruppe?
Wir legen Wert darauf, dass Leiharbeit ein temporäres Instrument ist, um Auftragsspitzen abzufedern. Leiharbeit darf nicht zur Regel werden und nicht Dauerarbeitsplätze ersetzen. Wir beobachten aber, dass Leiharbeit in den Unternehmen Stammarbeitsplätze verdrängt. Das hat nichts mehr mit Flexibilität zu tun, sondern dann geht es um die Verbreitung von ungesicherten Arbeitsverhältnissen.
Leiharbeit ist bei uns deshalb immer noch umstritten. Es gibt Betriebsräte, die diese Arbeitsform konsequent ablehnen.
Wie wirkt sich Leiharbeit im Ingenieurbereich aus?
Wir wissen, dass die Unternehmen in den Forschungs- und Entwicklungs-Abteilungen jeweils ungefähr zur Hälfte eigenes und fremdes Personal zum Einsatz bringen. Das halte ich nicht für gut. Für die Beteiligten bedeutet das einen immens hohen Organisationsaufwand, auf Kosten ihrer oder zusätzlich zur Arbeit. Leiharbeit und Werkverträge führen zu einem Abfluss der Kernkompetenzen in den Unternehmen, darüber sollten sich die Manager im Klaren sein.
In den Unternehmen setzen sich Forschungs- und Entwicklungsabteilungen zunehmend aus drei unterschiedlichen Ingenieurgruppen zusammen: Festangestellte, Leiharbeiter und Ingenieure mit Werkverträgen. Was unterscheidet Leiharbeiter von denen mit Werkverträgen?
Lassen Sie mich zuerst sagen, dass in diesen gemischten Gruppen eine massive Wettbewerbssituation herrscht. Die wiederum erzeugt einen hohen Erfolgsdruck unter den Ingenieuren. Nun zum Unterschied: In der Leiharbeit überlassen Personaldienstleister oder Leiharbeitsunternehmen mit Überlassungserlaubnis ihre Beschäftigten einem anderen Unternehmen. Die Leiharbeitsbeschäftigten werden wie Stammbeschäftigte in die Abläufe integriert.
Bei Dienst- oder Werkverträgen beauftragen die Unternehmen Ingenieurdienstleister, ein Gewerk abzuliefern, beispielsweise die Entwicklung einer Maschine. Hier findet keine Integration in die Organisation des Auftraggebers statt. Jedenfalls soll und muss das so sein. Bei diesen Werkverträgen ist aber die Gefahr der Scheinselbstständigkeit hoch.
Warum gerade bei Werkverträgen und welche Konsequenz hat Scheinselbstständigkeit?
Die Gefahr, dass es zu Scheinselbstständigkeit kommt, ist deshalb groß, weil der Beschäftigte oft direkt in die Arbeitsabläufe des beauftragenden Unternehmens eingebunden ist. Das sind Anzeichen für Scheinselbstständigkeit oder Scheinwerkverträge. Ein anderes Anzeichen dafür ist die Vernetzung über IT-Systeme zur Erbringung der Arbeitsleistung.
In diesen Fällen entsteht ein Beschäftigungsverhältnis und der Auftraggeber als Arbeitgeber müsste eigentlich Sozialversicherungsbeiträge für den Scheinselbstständigen bezahlen und auch alle Arbeitnehmerschutzrechte einhalten, wie beispielsweise den Kündigungsschutz oder die Entgeltfortzahlung bei Krankheit. Tut er aber nicht, denn Freiberufler sind selbst versicherungspflichtig, es sei denn, sie klagen sich als Arbeitnehmer ein.
Ingenieure sind am Arbeitsmarkt gefragt. Warum sollten sie sich solchen Risiken aussetzen und Leiharbeiter werden?
Wenn ich auf Absolventenmessen oder bei Vorlesungen mit angehenden Ingenieuren spreche, frage ich regelmäßig nach deren Wunscharbeitgeber. Aus Studien ist bekannt, dass die meisten zu Automobilherstellern wollen. Diese Erfahrung habe auch ich gemacht. Mir hat noch nie ein Absolvent erzählt, dass er bei einem Personaldienstleister anfangen will. Wer dorthin geht, macht das oft, weil ihn sein Wunscharbeitgeber nicht genommen hat. Die Beschäftigten hoffen dann, über einen Einsatz als Leiharbeiter oder einen Werkvertrag den Einstieg bei ihrem Wunscharbeitgeber zu schaffen.
Die Praxis sieht aber oft so aus, dass sie über Jahre bei einem Entwicklungsdienstleister festsitzen, ohne übernommen zu werden. Von Personaldienstleistern weiß ich, dass es einen kritischen Zeitpunkt für die gewünschte Übernahme gibt: Wer zwischen drei und fünf Jahren den Absprung vom Personaldienstleister nicht geschafft hat, bleibt dort hängen.
Ist das schlimm, erleiden die Ingenieure dadurch Nachteile, etwa finanzielle?
Unsere Erhebungen zeigen, dass Ingenieure, die als Leiharbeiter oder für einen Werkvertrag eingesetzt sind, im Durchschnitt rund ein Drittel weniger verdienen, als nach dem Flächentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie für Ingenieure vereinbart ist. Manche Spezialisten mit stark nachgefragtem Profil verdienen ebenso viel wie die Festangestellten in den Unternehmen, in denen sie eingesetzt werden. Mehrheitlich ist der Verdienst aber niedriger.
Was ist positiv an der Leiharbeit oder Werkverträgen?
Wir sagen nicht: Das ist aber eine üble Arbeitsform, in der du arbeitest. Wer gerne in unterschiedlichen Projekten viel an Erfahrungen sammeln und nicht auf Dauer in festen Unternehmensstrukturen arbeiten will, für den ist Leiharbeit oder ein Werkvertrag eine attraktive Arbeitsform. Erfahrungen werden von Arbeitgebern immer als Pluspunkt gewertet. In erster Line sind Leiharbeiter Beschäftigte, die uns wichtig sind. Uns geht es vor allem darum, mit ihnen ihre Beschäftigungsbedingungen zu verbessern.
Gehen Sie davon aus, dass die Anzahl an Ingenieuren in Leiharbeit oder in Werkverträgen weiter zunehmen wird?
Dieses Flexibilitätsmodell wird weiter wachsen. In den vergangenen Jahren haben sich zahlreiche Personaldienstleister gegründet, die sich auf die Vermittlung von Ingenieuren spezialisiert haben. Weil die Nachfrage aus den Unternehmen groß ist, steigt logischerweise die Anzahl der Ingenieure stark, die in diesen Arbeitsformen ihr Geld verdienen. Es ist eine eigene Branche entstanden, die weiter wachsen wird. In dieser jungen Branche betreiben wir klassische Erschließungsarbeit unter hoch Qualifizierten.
Wie hoch ist der Organisationsgrad von Ingenieuren in der IG Metall?
Der Mitgliederzuwachs der IG Metall in diesem Bereich war in den letzten Jahren deutlich überproportional. Besonders erfolgreich sind wir bei jungen Ingenieuren. Es gibt in Deutschland rund 800 000 sozialversicherungspflichtige Ingenieure. Davon sind etwa 150 000 bei uns gewerkschaftlich organisiert, und zwar über alle Altersstufen hinweg.
Das Interview ist in den „VDI nachrichten“ erschienen.